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Autor Thema: Chroniken eines Kreuzritters  (Gelesen 3384 mal)

Lord of Mordor

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Chroniken eines Kreuzritters
« am: 22. Nov 2008, 15:01 »
Die Prophezeihung besagte, dass es ein skrupelloser Kaufmann sein würde, der den Ketzerfürsten bezwang, und Laconius Monetus war gekommen, um dies in die Tat umzusetzen.

Natürlich war er nicht alleine gekommen. Das wäre eines Mannes seines Standes nicht würdig gewesen. Aus diesem Grund hatte er sich einen Barden geleistet. Dieser untermalte Laconius' Ankunft in der Festung Folterfels mit Heldenballaden aus der eigens für diese Gelegenheit verfassten "Laconius-Sage" - ein Werk, dessen schmeichelhafte Beschreibungen des Kaufmanns mehr über das exorbitante Salär des Sängers als über Laconius selbst aussagten.

So war da beispielsweise die Rede davon, dass Laconius triumphal im Hort aller Garstigkeit einmarschierte, obwohl er in Wahrheit getragen werden musste. Zwei Söldner in Plattenpanzern schleppten seine Sänfte durch die Korridore des Turmes und hatten trotz ihrer trollartigen Muskeln sichtlich Probleme, den oft verharmlosend als "massig" bezeichneten Kaufmann einigermaßen über dem Boden zu halten.
  Ein dritter Söldner trug das ebenfalls nicht zu unterschätzende Gewicht von Laconius' Wegzehrung und hatte zudem noch die Leinwand des Malers geschultert, der traumverloren hinter der Gruppe her schlenderte und eigentlich ganz woanders hin zu gehören schien.

Vor dem Thronsaal der Festung setzten die Männer die Sänfte ab. Sofort griff sich Laconius eine Traube aus seinem Vorratssack und verleibte sie sich genüsslich ein. Träge gestikulierte er in Richtung der Eisentür vor ihm.
  "Vorwärts, Vasall", schmatzte er. "Munter ans Werk!"
  Einer der Söldner grunzte zustimmend, packte seinen Schlachtenhammer und begann, die Torflügel damit zu bearbeiten. Der Barde untermalte jeden Schlag mit einem Fanfarenstoß, und schließlich zerbarst das Tor just in dem Moment, in dem sich die Musik einem lautstarken Höhepunkt näherte. Der Söldner trat die Splitter mit einem gutturalen Kampfschrei aus dem Weg, dann stürzte er sich kühn in den Raum.

Ein wenig zu spät fiel ihm auf, dass er in der völligen Finsternis des Saals nicht sehen konnte, und im nächsten Moment stolperte er über einen Grabstein.
  "Was ist eigentlich so schwer daran, sich im Dunkeln nicht wie ein verhinderter Hofnarr zu betragen?", murmelte eine Stimme, dann schnippte jemand mit den Fingern. Mehrere Lichter flammten gleißend auf und enthüllten eine umfassende Ansammlung von Grabsteinen.

Es gab sie in einer geradezu verstörenden Vielfalt: Marmor, Granit, Kreuze, Statuen, Gedenktafeln... sogar an ein kleines Mausoleum war gedacht worden.
  Auch der Rest des Raumes zelebrierte seine makabre Ausstrahlung nicht ohne Stolz. Die vormalige Dunkelheit war augenscheinlich durch Wolken vor den Fenstern hervorgerufen worden, die jeden Lichteinfall verhinderten, und die Lampen, die den Raum nun in ihren fahlen Schein tauchten, entpuppten sich bei näherem Hinschauen als heilige Schriften, die in Öl getaucht und angezündet worden waren. Laconius konnte nicht umhin, die Idee, Sonnenlicht auszusperren, um den Gebrauch stilvollerer (und kostspieligerer) Beleuchtung zu rechtfertigen, mit einem anerkennenden Nicken zu belohnen.
  Der Ketzerfürst, der inmitten dieser Obszönitäten auf seinem Thron saß, war genau die Gestalt, die man in einem Zimmer voller Grabsteine erwartet hätte. Sein Gesicht erweckte den Eindruck, als wäre er eben erst dem Mausoleum neben seinem Thron entstiegen - die Leiche eines Königs, die erst nach dem Tod festgestellt hatte, dass eine Persönlichkeit von seiner hohen Stellung über ihre Lebensdauer gefälligst allein zu entscheiden hatte und wieder aufgestanden war, um noch ein paar Nachbarreiche zu unterwerfen. Seine bloße Anwesenheit schien dem Licht der Flammen solche Angst einzujagen, dass es einen gehörigen Bogen um ihn machte.

Er würdigte den Söldner, der sich zu seinen Füßen hastig aufzurappeln versuchte, lediglich eines beläufigen Blickes und wandte sich dann an Laconius.

  "Ich habe euch erwartet", sagte er und machte eine weit ausholende Geste. "Wie ihr seht, war ich mir nicht ganz sicher, welchen Stil ihr bevorzugen würdet... daher habe ich einfach eine möglichst vielseitige Sammlung bereitstellen lassen, um euch die bestmögliche Auswahl zu bieten."
  Er erhob sich von seinem Thron und trat auf ein mannshohe Kreuz zu, um das sich mehrere Skulpturen von holden Maiden in verschiedenen Formen des überzeichneten Wehklagens räkelten.
  "Ich dachte mir, dieser hier könnte euch vielleicht gefallen", sagte er mit der Stimme eines Kenners und fuhr mit der Hand über das Gestein. "Gute Verarbeitung... verleiht selbst dem erbärmlichsten Lebenslauf im Nachhinein einen Hauch von Stil."

"Anmaßender Bauer!", lachte Laconius und kaute amüsiert an einem Stück Speck. "Wir Moneti pflegen dem Tod ins Gesicht zu lachen!" Damit war natürlich der Erschöpfungstod der Schuldner gemeint, die seit Jahren an einer monumentalen Familiengruft für Laconius und, wenn er in gönnerhafter Stimmung war, vielleicht auch die Kinder seiner Konkubinen schufteten.
  "Das einzige Andenken an EUREN Tod wird hingegen schon bald mein Schlafzimmer zieren... Maler!"
  Der Maler schwirrte an Laconius vorbei in den Raum und wuselte begeistert zwischen den Grabsteinen herum.
  "Wundervoll", hauchte er und sog die eisige Luft des Saals tief ein. "Eine faszinierende Synthese aus makabrer Düsternis und zügelloser Perversion... und dann diese Andeutung von Pestilenz, dieser Hauch von Widerwärtigkeit... ein großartiger Schauplatz, wirklich ganz großartig!"
  Jetzt war das Interesse des Fürsten geweckt. Neugierig beobachtete er, wie der Maler mitten in seinem Thronsaal eine Leinwand aufstellte und mit Feuereifer zu pinseln begann.
  "Fehlt nur noch die passende Atmosphäre", bemerkte Laconius und klatschte behäbig in die Hände. Der Barde gab einen Jauchzer von sich und machte sich flugs daran, das Motiv mit einem melodiösen Epos zu bereichern. Mit wallendem Haar tänzelte er durch den Raum und hämmerte wie wild auf seinem Tambourin herum, um seine Verse angemessen zu untermalen.

  "Schaut euch nur den Fürsten an,
  Welch ein düstrer, dunkler, grässlicher Mann,
  Die Kutte so schwarz, die Haut so fahl,
  Die Helden sind da und machen aus seiner Festung sein Graaabmal!"


  Der neugierige Gesichtsausdruck des Fürsten verschwand so schnell wie die gemischte Käseplatte, die sich Laconius im selben Moment genehmigte. An seine Stelle trat eine Grimasse fassungsloser Abscheu. Diese verwandelte sich in regelrechtes Entsetzen, als der Barde mit einer zweiten Strophe an den Erfolg der ersten anzuknüpfen suchte. Mit quälender Langsamkeit warf er den Trommelstock hinter sich und kramte erneut seine Fanfare hervor. Die Augen des Ketzerfürsten verengten sich zu Schlitzen, violettes Feuer zuckte um seine geballten Fäuste. In dem Moment, in dem der Barde das Instrument an die Lippen setzte, sprang er vor und schleuderte einen Strahl gleißender Magie gegen den Musiker. Dieser stieß ein eine letzte Tonleiter hervor und verging in einem Schwarm wild durcheinander wirbelnder Pergamente. Laconius hätte sich vor Schreck beinahe an seinem Braten verschluckt.
  Mit fettigen Fingern griff er sich eine der Schriftrollen aus der Luft und stellte fest, dass sie eine durchdachte Abhandlung über die geistige Minderwerigkeit des Lesers enthielt.

  "Das hast du nicht umsonst getan, du widerwärtiges Scheusal!", dröhnte er und schwabbelte erzürnt in seiner Sänfte hin und her. "Ergreift ihn, meine Mannen!"
  Einer der Söldner nickte, reckte grölend seinen Morgenstern in die Höhe und stürmte auf den Fürsten zu. Dieser wedelte einmal mit der Hand und der Angreifer fand sich auf der anderen Seite der Festungsmauer wieder. Erst jetzt fiel ihm auf, wie hoch die Festung eigentlich war...
  Die Mundwinkel des Fürsten zuckten amüsiert. Die beiden anderen Söldner warfen sich verunsicherte Blicke zu.
  "Was soll das, ihr zweitklassigen Handlanger?", brüllte Laconius und kühlte seinen Zorn mit einer Flasche teuren Weins. "Ihr sollt ihn NIEDERMETZELN!"
  Doch der Fürst ging bereits selbst zum Angriff über. Mit einer kurzen Formel verwandelte er die im Raum verstreuten Splitter seiner Tür in eine Armee kleiner eiserner Männlein, die sich zu Hunderten auf den zweiten Söldner warfen und grausige Rache übten.
  Der Ketzerfürst lächelte das Lächeln eines Mannes, der die kleinen Freuden seines Lebens in vollen Zügen genoss. Zitternd wich der letzte Söldner zurück, als der Fürst seine Aufmerksamkeit ihm zuwandte.
  "Moment!", warf der Maler dazwischen. "Ihr dürft sie nicht so SCHNELL vernichten! So kann ich es nicht auf die Leinwand bannen!"
  "Dummdreister Pinselschwinger!", bellte Laconius zwischen zwei Bissen einer monströsen Sahnetorte. "Wofür bezahle ich dich eigentlich? Du sollst MEINEN Sieg auf Leinwand bannen! Söldner, vernichte sie beide!"
  Der Söldner wog diesen Befehl kurz ab, dann fuhr er herum und gab Fersengeld. Der Fürst grinste. "Wisst ihr, euer Maler hat recht. Ein langsamer, qualvoller Tod hat tatsächlich einen gewissen künstlerischen Wert... ihr als gefeierter Mäzen versteht das doch sicher."
  "Ihr könnt mich niemals besiegen!", dröhnte Laconius. "Nicht, solange ich DAS hier habe!" Damit hob er einen goldenen Fuß aus seinem jetzt leeren Vorratsbeutel und streckte ihn dem Fürsten triumphierend entgegen.
  Selbstverständlich hatte er erwartet, dass nun etwas geschehen würde. Er würde enttäuscht. Das Artefakt leuchetete einmal kläglich, dann legte sich eine peinliche Stille über den Thronsaal.

  "Ihr habt keine Ahnung, wie das Ding funktioniert, nicht wahr?", fragte der Fürst nach einer Weile.
  "Das spielt keine Rolle!", blaffte Laconius. "Es steht in der Prophezeihung, dass der Finder dieses Artefakts, ein reicher Kaufmann, den Fürsten der Finsternis damit bezwingen wird! Dieser Ruhm gebührt eindeutig mir!" Er wedelte den Fuß mehrmals hin und her, um ihm auf die Sprünge zu helfen, doch vergeblich.
  "Wenn ihr so sicher seid, warum kommt ihr dann nicht her und zeigt es mir?"
  "Genau das werde ich tun!", verkündete Laconius und machte sich mit wilder Entschlossenheit an das wahgalsige Unterfangen, seine Sänfte zu verlassen. Diese Unternehmung nahm eine beträchtliche Menge Zeit in Anspruch, doch unter Aufbringung all seiner Willenskraft war der Kaufmann letztendlich erfolgreich. Er setzte das selbe Grinsen auf, mit dem er normalerweise Bauern Haus und Hof zu nehmen pflegte, und stampfte auf den Fürsten zu - nur, um prompt in der Tür zum Thronsaal stecken zu bleiben. Mit einem mitleidigen Blick nahm ihm sein Gegenspieler den Fuß aus der Hand. Wild schwabbelnd stemmte sich Laconius gegen den Türrahmen, doch ohne Erfolg.
  "Es... steht... geschrieben!", schnaufte er. "Gebt mir den Fuß zurück!"
  Der Fürst lachte kalt auf. ""Es ist gar nicht so schwer, Prophezeihungen in Umlauf zu bringen, wisst ihr? Zuerst wollte ich sie ja der Glaubwürdigkeit wegen auf arme Bauernsöhne beziehen, aber ich begriff schnell, dass erfolgreiche Geschäftsleute mit vielen Leibeigenen und umso weniger Skrupeln viel bessere Aussichten hatten, das Artefakt auch zu finden.
  Jahrelang hat jeder einigermaßen wichtige Mann des Reiches nach diesem Fuß gesucht, und als ihr ihn schließlich gefunden habt, hat der zweite Teil der Prophezeihung - der Teil, der meinem Bezwinger unermesslichen Reichtum und einen Harem willfähriger Prinzessinen verspricht - dafür gesorgt, dass ihr ihn direkt zu mir bringt. Ich musste nicht einmal meinen Thronsaal verlassen."
  Zufrieden ließ er den Fuß in seiner Kutte verschwinden und wandte sich ab.
  "Verhungern im Türrahmen dürfte langsam genug gehen, nicht wahr?"
  Der Maler strahlte, während der Ketzerfürst den Saal durch eine Hintertür verließ, um seiner Armee den Marschbefehl zu geben. 
« Letzte Änderung: 22. Mär 2009, 02:58 von Lord of Gifts »
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Lord of Mordor

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Re: Chroniken eines Kreuzritters
« Antwort #1 am: 15. Dez 2008, 15:52 »
Allmählich gelangte der edle Mauritius zu dem Schluss, dass er sich verirrt hatte.

  Warum?

  Nun, er war soeben gegen einen Berg gelaufen. Das war soweit nichts Ungewöhnliches, mit herunter geklapptem Visier passierte ihm das häufiger. Diesmal gab es allerdings ein Problem: Laut seiner Karte hätte sich hier anstelle des Felsmassivs eine lauschige Blumenwiese befinden sollen.
  "Ich glaube, man hat mich betrogen", schlussfolgerte der Recke messerscharf, als er sich umsah und auch das auf der Karte verzeichnete beschauliche Bauerndorf nirgends zu entdecken war. Prompt erschien der Kartenverkäufer vor Mauritius' inneren Auge und begann, eine Ode an all die Goldstücke, die er ihm und seinen anderen Kunden so arglistig entrissen hatte, zum Besten zu geben.
  "Dieser scheinheilige Scharlatan!", entfuhr es dem Recken, als der Verkäufer zum Klang der Münzen auch noch zu tanzen begann. "Wie soll ich mit diesem nutzlosen Stück Pergament jemals meine Gefährten wiederfinden?" Versuchsweise spähte er in die Ferne, in der Hoffnung, die geballte Heiligkeit einer ganzen Streitmacht päpstlicher Kreuzritter würde sich als gleißender Stern am Himmel manifestieren und ihn so zu ihnen führen, doch er wurde enttäuscht. Die einzige Lichtquelle, die am Firmament zu sehen war, war und blieb die Sonne, die mit hämischer Gelassenheit auf Mauritius' Plattenpanzer niederbrannte.
  "Sei's drum!", verkündete er. "Ein Narr, wer sich auf profane Kartographie verlässt!" Kühn warf er die Karte ins Gras und beschloss, seine Schritte von nun am fußlosen Gott lenken zu lassen. Also schloss er die Augen und schritt wacker fürbass.

*

  Wenige Meilen entfernt jagte Deirdra ihr Pferd einen unwegsamen Waldpfad entlang, verfolgt von einem schwarzen Reiter und einer rasant um sich greifenden Verwesung von Flora und Fauna. Äste schlugen ihr ins Gesicht, bevor sie verfaulten und zu Boden fielen, doch sie beachtete sie gar nicht. Die Aura der Fäulnis folgte ihr wie eine Sturzflut, stets nur eine Handbreit hinter ihr. Ganze Bäume vermoderten in dem Moment, in dem Deirdra an ihnen vorbei preschte.
  Gehetzt warf sie einen Blick über die Schulter. Obwohl das Pferd ihres Verfolgers eher dafür geeignet war, Feinde nieder zutrampeln, als sie einzuholen, konnte sie trotz aller Anstrengung keinen nennenswerten Abstand zwischen sich und ihren Feind bringen.
  Mit einem rasselnden Laut streckte der Ketzer seine Hand in ihre Richtung. Mehere Würmer schlüpften aus der vermoderten Haut und züngelten gierig nach ihr. Sie wandte das Gesicht wieder nach vorne, nur, um einen Baum auf sich zuschnellen zu sehen, dessen Wurzeln binnen weniger Augenblicke verfault waren und der nun auf den Weg zu stürzen drohte. Deirdra rammte ihrem Pferd die Stiefel in die Flanken, und mit einem lauten Wiehern sprengte der Hengst vorwärts, um Haaresbreite an dem fallenden Hindernis vorbei. Der Reiter hinter ihr übersprang den Stamm und setzte die Verfolgung fort.
  Erneut sah Deirdra nach hinten, und diesmal hatte ihr Feind deutlich aufgeholt. Sie selbst konnte sich kaum noch auf dem Pferd halten, doch der Kreatur hinter ihr schien Erschöpfung fremd zu sein. 
  Vor ihr fiel Licht durch die Blätter und kam rasch näher. Ihr Pferd donnerte über die Waldesgrenze hinweg...

  ...und krachte gegen einen Paladin, der mit verschlossenen Augen frontal in das Tier hineinmarschierte. Mit einem lauten "Bei allen Sakramenten!" ging er zu Boden, das Pferd bäumte sich wiehernd auf, warf Deirdra ab und galoppierte davon.

  Benommen versuchte Mauritius, sich darüber klarzuwerden, was genau eigentlich geschehen war. Den Berg und die Blumenwiese hatte er anscheinend hinter sich gelassen und befand sich nun am Rande eines Forsts. Die päpstliche Streitmacht allerdings glänzte weiterhin durch frustrierende Abwesehenheit. Stattdessen erblickte der Paladin eine einzelne Frau, die genau wie er reichlich mitgenommen auf dem Boden lag und sich mit schmerzverzerrter Grimasse den Kopf hielt. Als sie Anstalten machte, sich zu erheben, fühlte er sich als Paladin des Papstes verpflichtet, einzuschreiten.
   "Moment!", rief er und rappelte sich auf. "Ich werde euch aufhelfen!". So schnell es ihm nach einem direkten Zusammenprall mit einem Pferd eben möglich war, taumelte er auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen.
  Just in diesem Moment allerdings brach zu Mauritius' Fassungslosigkeit ein Schimmelreiter aus dem Wald hervor. Der Paladin hatte zwar schon von diesen Kreaturen gehört, doch bis jetzt nur in Geschichten, die Mütter benutzten, um ihren Sprösslingen die Bedeutung des alljährlichen Bades einzuschärfen. Der Reiter erschien auf den ersten Blick völlig schwarz - bis das Auge begriff, dass dieser Eindruck von den zahlreichen Pilzkulturen und Parasitenkolonien kam, die auf und in seinem Körper wucherten.
  Schimmelreiter waren Ketzer, die so sehr in ihrer inneren Verderbtheit aufgegangen waren, dass sie sich auf eine Art und Weise, der keine Bürste mehr beikommen konnte, nach außen hin manifestiert hatte. Manche munkelten sogar, dass der eigentliche Mensch längst verfault war und der Schimmelreiter nur noch vom animalischen Bewusstsein der Schmutzkruste, die seinen ganzen Körper einhüllte, voran getrieben wurde.
  Der Hüne glitt von seinem Ross und kam wie ein Katapultstein auf dem Boden auf. Ohne auf Mauritius zu achten, wandte er sich der Frau zu, die sich inzwischen erhoben hatte und ihr Schwert gezogen hatte.
  "Wenn ihr ihn also unbedingt wiederhaben wollt - kommt und holt ihn euch!", stieß sie schwer atmend hervor und richtete die Waffe gegen den Schimmelreiter.
   Selbst in dieser Situation konnte Mauritius nicht umhin zu bemerken, dass sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Maiden auf jenen Gemälden besaß, die gemeinhin verwendet wurden, um Unwissenden die Ideale der Minne zu erklären. Freilich hätte sich ein Maler in ihrem Fall für den letzten Feinschliff einige Freiheiten nehmen müssen. Die Lederrüstung durch ein kolossales Rüschenkleid zu ersetzen, beispielsweise, damit die Prinzessin die Pforte ihres Elfenbeinturms selbst dann nicht durchschreiten konnte, wenn sie sperrangelweit offenstand, oder die verkrampfte Haltung, in der sich dennoch viel zu viel Kampferfahrung für eine Maid in Not wiederspiegelte, mit jenem leicht abgehobenem Ausdruck, der selbst dann noch "Rette mich!" zu flehen schien, wenn gar keine Gefahr im Verzug war.
  Für Mauritius hingegen waren diese Eigenschaften zweitrangig - er erkannte eine Gelegenheit zur Heldentat, wenn er eine sah. Stolz warf er sich in die Brust und zog seine Klinge.
  "Lass ab von der Maid, du abscheuliche Ausgeburt!", donnerte er melodisch. Golden eingravierte Psalmen blitzen auf Schwert und Rüstung in der Sonne und verliehen seiner trutzigen Haltung genug Erhabenheit, um über seine geringe Körpergröße geschickt hinwegzutäuschen. Die Maid blinzelte verdutzt, doch Mauritius bemerkte es nicht - sein gesamter Geist war auf den Schimmelreiter konzentriert. Wie ein Löwe umkreiste er seinen Feind, das Schwert stets zum Stoß bereit.
  Nach der dritten Umkreisung stieg allmählich eine gewisse Frustration in ihm empor.
  "Wollt ihr nicht endlich eure Waffe ziehen?", fragte er. "Wie soll ich euch im ritterlichen Zweikampf bezwingen, wenn ihr nicht einmal über eine Klinge verfügt?"
  Zur Antwort hob der Schimmelreiter die Hand und Mauritius' Schwert zerfiel in rostige Stücke.
  "Bei allen Heiligen!", rief er aus und starrte auf seinen Schwertgriff. "Dafür zahlt ihr, Inkarnation der Grässlichkeit!"
  Damit hob er wacker den Griff und ging damit auf den Schimmelreiter los. Kurz, bevor er ihn jedoch erreichen konnte, verwandelte sich der feste Boden unter ihm von einem Moment auf den anderen in blubbernden Schlamm. Fassungslos musste er beobachten, wie er langsam, aber unaufhaltsam im Morast versank.
  "We... welch missliche Situation", kommentierte und strampelte wenig sinnvoll im Matsch herum. Der Schimmelreiter gab ein Lachen von sich, dessen tiefgreifende Widerwärtigkeit nur eine Kreatur mit von Maden zerfressenen Stimmbändern erreichen konnte. Dann machte er einen Schritt nach vorne und hob den Fuß, um Mauritius' Kopf komplett in den Schlamm zu drücken.
Ash nazg durbatulûk, ash nazg gimbatul,
Ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul
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